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LYRIK EIN FEUERCHEN IM HINTENNACH
  Gedichte 1986-1991. 1992. edition suhrkamp 1775.
 

Ein Feuerchen im Hintennach

Für Dagobert und Karl Wolf Biermann

1

Ich bin im Hintennach ein Feuerchen
Rutsche durch Landschaften, ich ruhe gut, ein Reisender.
Zwischen den Amtsgewalten zur Verbesserung des Menschen
Lutsch ich mich selbst bis hin zum Aha. Es schmeckt süß.

Davongelaufen sind die mit dem Rucksack unterbrust
Zu einer ruhigen Sonderfläche namens Andersleben
Sind von den wirren Wäldern langgeweilt umzingelt,
Die Bäche gehen träge kreuz und quer, es lebt sich.

Mag sein, ein junges Tier, vorbeigegangen ists
An meinem Zwischenzauder, quert die Wälder
Und findet statt bei jenen Abendsassen
Doch wenns danach noch redet stirbts danach womöglich.

Ich bleib das Hintennach und muss ins Vornehin durch Rauch
Sodass ich knurrend hust in den Gedächtnissen:
So sei doch solidarisch. Denk an dich. Zerbeiß die Knochen.
Und liebe nichts als was dich in die Flucht bringt.

2

Wohin noch flüchten? Nah des Baches Nachtmäander
Verflüstern sich die zögerlichen Wandersassen
Und kommentieren mir mein schwarzes Haar ins Graue
Entnehmen rucksackweis Fleischstücke und sie braten

Die Hoffnungen zu Schmalz und Kruste
Trinken den Roten, singen Internationale
Fahren mit bloßen Panzern ins Geschlecht
Ihriger Wörterfraun, lagern am Bach hernach und träumen

Sich unversehrt ins Komitee der Weltgeschichte.
Ich dorthin nicht. Als Hintennach, als Feuerchen
Wend ich mich nordnordsüd zum Wörterdelta
Da ja versammelt ward, was je die Krähen sprachen.

Stumm ist das Heim der aushäusigen Wörter
Von außen ziehts, und innen ist das Blut
Erinnerlich die eigentliche Sonderfläche
Dort ich mich schwimmend strecken kann, daheim, daheim.

3

Auch ein Daheim. Die Meinigen sind ausgehaust
Schon längst und haben im Rumbulawald nächst Riga
Sich zum Skelett gestreckt und knurrend schlafen sie mein Schlaf
Unschuldig wie vertilgte Tierchen wittern sie bei diesen. Salomon.

Vererben uns nur ihre dreisten Träume die sich
Mit meinem Leben mischen ein Feuerchen im Hintennach
Rutsch ich entlang die Menschenlandschaft
Hin zu den Öfen, doch so kalt war nie ein Ofen

Als der als welcher er dort steht mit vollem Bauch
Der Anverwandten ist er jetzt prachtvoll Gedenken
Und Lebensmenschen landen da mit Düsenjägern
Schreiten einher, ein Walzer, schmücken ihn mit Pflanzen

Mit Schleifen, darauf Wörter, nie vergessen,
Und Totenwürde, Lebensrest, ich bleib als Sasse
Im Adijöh zurück, so ist mir rätselig
Die Sonderfläche meines Daseins.

4

Und schuldig ich, und wie, ein Halbgerechter
Denn ich vergnüg mich gar nicht schlecht in deutschen Landen
Schütte entlang der Wiener Donau meinen Samen
Ins helle Lachen und mein Blick geht in die Belsen fremd

Hinein in die Konturen innerlicher Keuchkommandos
Denn Feuerchen bin ich im Hintennach, da drechsel
Ich Wörter noch und noch, damit vor mir da liegen
Die Augenspiele aus den frühen Wäldern

Lieb ich die Nähe flieh mich ins ganz Nahe
Sodass die ferne Zeit mich sprachlos bloß umzingelt
Wächst mir der Rucksack mit den Knochen unterbrust
Ich fall nach vorn auf meine Sonderfläche. Salomon.

Davongelaufen sind mir viele die ich mochte
Auch wenn sie ihr Gestorbensein als Ehrgeiz hin und her
Gewendet hatten, so als ob sie knurren können
Als ob ich atmen kann und knurrn im Hintennach zuhaus.

5

Und geh mit meiner jungen Liebe gehe ich nach Belsen
Nach Binsen und Verschleiß geh ich mit Li
Steh vor den großen grasbewachsnen Hügeln
Worein sich je die Tausenden verrottet krümmten

Und dort ich steh und geh zwischen den Hügeln
Schläft keiner von den Toten seinen Tod zu End
Fahren die Natopanzer klirrend durch den Schlaf
Schießen Granaten ab, so schießts und kracht es dauernd.

Was Bergen Belsen sonst einst war, es ist ein Truppenübungsplatz
Mitten in Deutschland, nicht in Thule hinter Vineta
Nah Celle ist zuhaus der Trauerfluss von dem
Die Energie für Künftiges geliefert wird. Ein Monument

Des Ernstes und der Sammlung Anne Frank
Kauert wohl sprungbereit im Staub der Lüneburger Heide
Und leg ich dennoch einen Stein auf einen ihrer Hügel
Bis mich die deutsche Freundin nimmt um meine Hüften schnell.

6

Und fahren wir zurück unter dem großen bleichen
Und Himmel Norddeutschland, sind Tränen schon
Längst eingesammelt in den Schrein der Leidenschaft.
Ich liege bei der Deutschen da in Deutschland.

Und stehe auf, besteige frei den Zug. Komme
Zurück, ein Feuerchen von Hintennach,
In meine Wortheimat, mein Wien am Donaufluss
Dort lächelt sich Vergangenes hinein

In die etwelche Gegenwart, in allen Beiseln
Sitzen die Lachenden mit Rotwein in den Gurgeln
Schlempern den Lethefluss, der kreuz und quer der Hofburg
Unserem Vergessenskaiser wäscht die Zehen blutig.

Daher bin ich geflohn? Die Jesuitenwiese geh ich
Großer Gesang aus Wien am Binsenstrom
Die Amseln brechen ab links rechts nach Süden. Krähen
Falln ein in dieses enge Land. Sind gern daheim.


   
   
 
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