Das ist die offizielle Homepage von Robert Schindel
     
   
   

   
   
LYRIK GEIER SIND PÜNKTLICHE TIERE.
  Gedichte. 1987. edition suhrkamp 1429.
 
Der Rindfleischesser (Nocturno)

I DER EINE

Und Rindfleisch esse ich und Rindfleisch
Um mich herum wachsen die Tode
Daweil ich Rindfleisch eß, werden sie gläsern
Sie spiegeln Den da duster, der das Rindfleisch ißt.

Ich fahre in das Rindfleisch da vor mir mit Gabul.
Das ist was Jauchzendes im Rindfleisch, wenn die Zinken kommen
Ins Innere herein. Von ferne höre ich mich lachend
Und schmatzen, schmatzend und küssen, küssend und jauchzen doch
Hier im Inneren
Reißen die Zinken
Das Schweigen auseinander.

Und Rindfleisch ess ich und Rindfleisch
Um mich herum wachsen die Tode
Daweil ich Rindfleisch eß, werden sie gläsern
Sie spiegeln Den da duster, der das Rindfleisch ißt.

Der eine Rindfleisch war ein Judenschläger
In Röttigen und in Würzburg und in Nürnberg
Eben begannen wir zu vergessen das Ojojoj
Unter den Kreuzrittern und wir stellten ihre Schreine ins Vorzimmer
Dort es modrig gnug war, dass die Angst versterben konnte.
Die Beine der Ritter lagen ruhig dort, grad als sie ausbleichten
War beim Passahfest wieder das tote Christenkind unter unserm Tisch
Der eine Rindfleisch war ein Judenschläger

Und Rindfleisch ess ich und Rindfleisch
Um mich herum wachsen die Tode
Daweil ich Rindfleisch eß, werden sie gläsern
Sie spiegeln Den da duster, den der Rindfleisch mißt.

Ich hab das Rind ganz gern zwischen den Zähnen. Ohnedies
Versickern schon zwischen den Atemzügen die kostbaren Pausen.
Die Genüsse sind ja ganz aus der Tiefe des Daseins herausgeschwemmt
Und spannen die Oberflächen, hernach die letzten bescheidnen Wasserläufer
Gut laufen könne, dennoch rundum sehr vertrocknetes Zeug. Die
Geheimnisse spiegeln gläsern ihre eigne Verschwundenheit den
Davonhetzenden Gestalten in die Rücken. So wächst dies Leben rundherum.
Und Rindfleisch ess ich ich kann nicht anders

Und Rindfleisch ess ich und Rindfleisch
Um mich herum wachsen die Tode
Daweil ich Rindfleisch eß, werden sie gläsern
Sie spiegeln Den da duster, der das Rindfleisch ißt.

II DER ANDRE

Der andre Rindfleisch war ein Arzt
In der Birkenau oder im Buchenwald oder im Lublinerland

Eben begannen wir zu vergessen die Schatten der Judenbuche
Unter den Eichen, schafften die Schrift ins Vorzimmer
Und Rindfleisch esse ich und Rindfleisch
Unsre Nasen standen gleich den andern Nasen
Im inniggeliebten Vaterhaus, fest hatten wir
Unsere Beine unterm Tisch im getauften Wohnzimmer
Sowie im ungetauften, doch knapp vor Ostern
Um mich herum wachsen die Tode

Knapp vor Pessach hörten wir Leute in unserm Vorzimmer.
Da kamen sie schon ins Zimmer und guckten unter den Tisch
Dort unsere Beine standen nahmen sie die Beine
Stellten sie Nase an Nase im Vorzimmer auf
Daweil ich Rindfleisch eß, werden sie gläsern

Im Vorzimmer, dort es modrig gnug ist
Daß unser Mut verstirbt ajaj ... die Beine der Ritter
Fahren in die Bärte, die Schrift flieht unter die Rinde der Buchen
Der andre Rindfleisch war ein Arzt in Buchenwald und in Majdanek
Sie spiegeln Den da duster, den der Rindfleisch mißt.

II NOCTURNO

Soeben hab ich wieder Rindfleisch gessen
Fahr mit den Zinken meiner Gabul in das Schweigen
Zerreiß die Fasern, streue drüber Brunnenkressen
Ich schneid das Rindfleisch in sehr dünne Scheiben

Ich mag das Rind, wenns durch die Gurgel rutscht
Das kann kein Schwein so intensiv, kein Hohn
Da schmatzt mein Maul, ein jauchzen ist im Schlund, es hutscht
Mein Darm, ist selig, die Tode wachsen ringsherum

Der eine Rindfleisch ist ein Arzt
Der andre Rindfleisch ist ein Judenschläger
Und wenn die Birke oder Buche harzt
Ziehen sie vom Leder.


   
   
 
zur Hauptauswahl..................................... zum nächsten Gedicht
 
 
 
TEXTE
LYRIK
Im Herzen die Krätze
Ohneland
Geier sind pünktliche Tiere
Ein Feuerchen im Hintennach
Immernie
Mein mausklickendes Saeculum
ESSAYS
PROSA
   
               
               
     
   
       
         
     
  Kontakt: Robert@Schindel.at
  Bookmark: Diese Seite als Bookmark/Favorit speichern
  Webmaster: daniela@lichtnetz.at
  Alle Rechte: ©2002 Robert Schindel, Wien
   
      Dieser Site wurde von the.webile.net gemacht.