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PROSA DIE NACHT DER HARLEKINE. (Auswahl)
  Erzählungen. 1994. Suhrkamp.
 


Kleine Geschichte des Verschwindens [Fortsetzung 3]

c) Die Geschichte Birnbaum

Kurz vor ihrem Verschwinden brachte Rosa eines Samstags den Literaten Gottfried Aper in die Gager-Hütte. Der las Gedichte des Paul Celan vor. Die Räucherstäbchen brannten, aber Gager hörte auf, sie zu riechen, denn er bemerkte entsetzt, aber beglückt, dass er entweder in den Versen des Celan oder jedenfalls in der Stimme Apers verschwand. Vor seinen Augen standen Riesen-Bilder, gastliche Gletscherstuben, Wanderstauden, Denkkiemen, Königsgeburten, jüngste Blätter, Stoßzähne und Sperrzauber, und Leo war innendrin. Nach der Lesung tauchte er wieder auf, das nahm er an; Rosa starrte ihm ins Weiße seiner Augen und murmelte:
Seltsam. Du magst Gedichte?
Das ist mir neu, antwortete er und wurde rot. Aper schaute rüber zu ihnen:
Pauls Gedichte, das ist eine Reise ins Sprachland.
In unser aller Land. In Niemandes Land.
Sie haben recht, antwortete Gager. Ich versteh keine Silbe. Es ist wunderbar.
Ich habe geglaubt, sagte Rosa, ich kenne dich.
Es ist wunderbar.
Sie erstaunen mich, Gager, sagte Aper.
Schreiben Sie auch Gedichte? fragte Gager und hob seinen Kopf.
Unglücklicherweise. Gager stand auf:
Ich will welche hören.
Das lässt sich machen. Die beiden Männer vereinbarten einen Termin.

2. Aper und die Erinnerung der Erfahrung

Der Mensch Artur Birnbaum begann dunkel seine Geige zu streichen.
Apers Gedichte erschienen dem Gager im doppelten Geheimnis. Da saß ihm der knapp dreißigjährige dürre Mensch gegenüber, sprach über dies und das in einfacher, direkter Rede; das Hin und Her der üblichen brüderlichen Bedeutungen, die sich im Sinn stets zu bekriegen schienen, wich in Apers Rede einem fast einfältigen Dahertrotten von Eins-nach-dem-Anderen. Diese Einfalt hatte, das merkte Gager sofort, etwas Kippiges, nicht Fassliches; eine entfernte Bedrohung kam noch aus dem heitersten Wortkringel herausgedämmert, dahingegen nach Gagers Erfahrung ansonsten die verwickelten Sprechbäume und Sprechwälder - häufig imponierend in Gehabe und Aufbau, pseudosachlich und verschachtelt - auf sich selbst hinwiesen und ihm ganz und gar banal vorkamen. Apers Rede aber war wie Gras.
Bei den Gedichten steigerte sich diese Klarheit und Bedrohung ins Unverständliche. Wiederum zog es Gager zwischen den Wörtern in eine unbekannte Landschaft, die mit seltsam wahrhaftigen Bauchherzen bevölkert war, vielstimmig schwieg, breite sowie scharfe Gebilde aus Gagers öffentlicher Erfahrung herausschnitt, wendete, drehte und zum Verschwinden brachte. Während sein Gehirn sich mehr und mehr befrostete, fiel ihm das Blut in den Bauch, und mit diesem musste er ins Land der Niemande reisen, dort er stets vorfand, was er wusste, als seis das erste Mal.
Nachdem Aper einige Texte gelesen hatte, schlug er sein Heft zu, bestellte Kaffee und begann Gager auszufragen. Sie wechselten ein paar Mal das Lokal, begannen einander zu duzen, und Gager stellte fest, dass er den Literaten liebgewonnen hatte.
Brinbaum stand vor dem Spiegel und strich dunkel die Geige. Keiner hörte noch zu. Aber Lene rief an. Birnbaum solle übernächsten Tag zu ihr und ihrer hinfälligen Mutter fahren und unterwegs das und das besorgen.
Was fange ich mit der Geschichte Birnbaum an? Ich gehe fort in die Stadt. Was hat es denn für einen Sinn, Rosa zu suchen? Im Café Museum entdecke ich Mats Anderlein, gehe auf ihn zu und bitte ihn, meine Freundin Rosa Palota ausfindig zu machen. Ich hätte, sage ich ihm, mit der burgenländischen Sache genug zu tun und - wie er sich denken könne - auch nicht die Kühle und den Nerv für eine solch peinliche Recherche. Anderlein stimmt zu. Ich gehe wieder heim. Seufzend setze ich mich zur Maschine. Mir ist nicht leichter, obwohl das zu erwarten war. In dieser Nacht werde ich wohl die Geschichte Birnbaum niederschreiben.
Als Rosa verschwand, erzählte Gager seinem neuen Freund Gottfried Aper alles über sein Liebe zu ihr; er hatte keinen Schimmer, weshalb sie weggegangen war. Nichts deutete auf diese Tat hin. Es war immer alles wie sonst. Aper fragte den Gager nach Rosas Gewohnheiten und anderen Dingen aus, aber Gager wusste alles und nichts. Gegen Schluß dieser Unterredung machte Leo Gottfried den Vorschlag, das poetische Verfahren bei ihm zu erlernen.
Die Welt ist voller Tatsachen. Ich bin angestopft mit Pöbel und Trödel. Ich will verreisen ins Ungefähre, dorthin, wo Platz ist und Fremde. Hilf mir beim Siedeln, Gottfried.
Ich kann dir Techniken bebringen, Disziplin, murmelte Gottfried. Nach längerer Überlegung machte er den Mund auf und fuhr entschlossen fort:
Denn das Phantastische wird durchsichtig und produktiv im knappen Kleid. Meide das Autobiographische, vor allem im ersten Jahrviert. Denn das schaut immer so aus, als wärs was, denn jeder hat doch gelebt und gelitten, nicht wahr. Aber es ist nichts, Geseire, lustig und traurig, Raunzereien sinds gegen bewusst gewordene Zwänge. Poesie, wo bleibt die denn?
Na eben, erwiderte Gager.
Ich kann dir Techniken beibringen, Disziplin, wiederholte Gottfried. Sonst nichts.
Dann los, sagte Gager und bedeckte mit der Hand seine Augen.

 
 
 
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