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PROSA Gebürtig. Roman. 1992. Suhrkamp.
  Auszug
  Fortsetzung (Gebürtig 2)

27. Februar 1986

Beim Runtergehen zum Frühstück überleg ich zuerst und weiß nicht wieso, ob ich mir den Mantel bloß über den Arm hängen oder anziehen soll. Meinen eigenen Mantel hab ich doch immer gleich angehabt, also zieh ich den auch an. Im Runtergehen ertapp ich meinen rechten Arm, wie er mir links die Brust bedeckt, da mir das Zimmermädchen entgegenkommt. Verwundert tu ich ihn dorthin zurück, wo er hingehört und gebe den gelben Stern überm Herzen wieder frei. Unten beim Frühstück sitzen die Kinder Israels in der Kluft, in der Kluft.
Juppi, jetzt fahren wir nach Theresienstadt an der Drau, "macht ma gornix aus", sagt der einzige, der im Kazett war, doch Renee, deren Tochter das Statieren der Muter mit "makaber" kommentierte, bricht in Tränen aus und entschuldigt sich und trocknet die Tränen und entschuldigt sich und Tränen, und weinend geht sie unter Entschuldigungen schnell zum Klo.
"Es ist, weil ich die Kinder gesehen habe draußen im Schnee spielen, jüdische aus Sarajevo, und die spielen draußen im Schnee, das war zuviel."
Achtzig oder noch mehr Juden aus Sarajevo sind da, schauen aus wie jedermann in Bosnien, wenigstens von Wien aus gesehen. Ein alter Mann, der in den Arbeitslagern war, begrüßt Paul mit den Worten: "Also Sie mit Ihrer Barbe schauen aus sehr original."
Meine eigenen Juden aus Wien und der Ukraine, ein jeder mit einem Gesicht, das so aussieht, wie sich der kleine Maxi und Hollywood einen mitteleuropäischen Juden vorstellen, kommen zu mir, seit ich in der Lammkluft bin und versichern mit hundertmal zwischen Frühstück und Mittagessen im Wartesaal:
"Sie sind a Echter. A Ächta bist du." Schließlich beruhigt mich Gerhard Frumm mit dem jüdischen Gesicht, denn er sagt mir:
"Es gibt kein jüdisches Gesicht. Das ist eine hartnäckiges Gerede."
Im Wartesaal hetzt mich Sany zur nächsten schluchzenden Frau. Larissa schluchzt und verbeißt und Oleg, ihr Mann, sitzt daneben, rührt sich nicht, schaut nirgendwohin oder irgendwohin, wohin ich nicht schauen kann. Die zwei sind vor acht Jahren aus der Sowjetunion raus und nach Israel. Larissa aber hat´s dort nicht ausgehalten. "Das Klima", sagt sie, und vermutlich meint sie das Klima. So sind sie zurück bis nach Wien mit israelischen Pässen, und ka Mensch hilft ihnen hier, sie haben keine Arbeit, verlieren die Wohnung, aber die Tochter ist noch Pianistin, der Sohn a Geiger und in der Sowjetunion geblieben, die kleine Tochter hat überall Musik, aber man lässt sie nicht aufs Konservatorium. "Und da kommt," erzählt mit Larissa auf deutschrussischjiddisch, "eine Wiener Jüdin - die dort - und fragt mich, was ich da verleuren hab, ich soll nach Israel zurückgehen oder nach Russland oder jedenfalls awek." "Ich bin satt", hätte die Wiener Jüdin gesagt. "Ich hab das und das, und das hab ich auch, und was hast du?" Und eine zweite hätte gesagt: "Was gute Juden von euch waren, sind tot, geblieben sind solchene wie ihr." Und Nana kommt von hinten mit der Kamera, Esther setzt sich dazu, das Ganze kommt auf den Film im Film, was sie jetzt noch alles erzählen im Wartesaal; und wie sie sich, denn jetzt redet auch Oleg, beklagen: "Leben kann man nur unter die Gojim. Sterben wird ma scho missn mit die Jidden. Ich will arbeiten, egal was", Oleg gestikuliert. "Auf der Kultusgemeinde hat ma aner geben wollen hundert Schilling, haben wir abgelehnt. Arbeit ja, aber nicht den Hut arunternehmen und bitte, danke. Sind gegangen zum Rebbe wegen einer leichten Arbeit für die Tochter, sie ist so a Pianistin, vielleicht bei Kinder arbeiten oder sowas.
‚Sie soll gehen putzen', antwortete der Rebbe."
Mir ist wehe zumute, so dass ich sogar befremdet bin, weil Esther mir zuflüstert, ich soll wieder zum Thema von vorher zurückleiten.
Du und dein Film, denke ich angefrostet, anstatt Antworten zu haben, die helfen. Aber Esther hat ja recht. Ist es auf Film, kann's ja nützen und wem schadet's, der Kultusgemeinde wegen der Russischen einmal auf die Füß zu steigen.
Willi Klang, ein Chirurg in Pension. Aber er operiert noch bis pünktlich zum siebzigsten Geburtstag, sagt mir, da ich ihn auf den Konflikt anrede:
"Aber hat nicht gestern abend irgend einer von den Russischen gesagt, man hätte zuwenig Wiener Juden vergast?"
"Wer weiß", sag ich. "So ein Regime kann man gar nicht erfinden, dass wir gescheiter werden."
"Immerhin" - und jetzt kriegt er sein Yves Montand-Gesicht - "bei Jom Kipper machma doch die Tür weit auf für die Bedürftigen. So a Masel, dass kana draußen steht."
"Stehen's nicht hinterm Eck?"
"Was willst, die Juden sind auch nur Menschen, Gott sei Dank. Und die Russischen haben nicht Gelegenheit gehabt zu lernen, zu denken."
Und Willi Klang setzt sich auf einen Sessel und erzählt:
"Vor ein paar Jahren ruft mich einer an wegen einer Beschneidung. ‚Kommen Sie um halb acht in der Früh', sag ich ihm, ‚weil nachher muß ich ins Spital. No, es wird halb zehn, bin ich weggefahren ins Spital. Um zehn ruft er mich dort an: ‚No was ist', schreit er durchs Telefon, ‚wir sinen alle do, und far wus sind sie woanders?' A hin und a her, fahr ich zurück, mach die Beschneidung, verbinde, zwei Stunden später, was soll ich dir sagen, macht eine Großmutter die Verbände wieder runter, um zu schauen, ob's gut und richtig gemacht ist. Versteh mich recht, sie haben eben nicht gelernt zu denken."
Wir gehen zum Set für unsern ersten Dreh. Ein Gewimmel, SS fährt vorbei, wir ziehen unsere Hüte. Wir gehen zum zweiten Dreh in die Schule, im Film das jüdische Gemeindezentrum von Theresienstadt. Dort sollen wir machen bla bla, bis Klang - jetzt hat er eine Sprechrolle - "Achtung" schreit, weil der Kommandant mit einem andern SSler die Treppe herunter kommt. Wir spritzen auseinander, haben zu erstarren und die Hüte zu ziehen. Einer der acht Regieassistenten korrigiert bei zwei Osijeker Statisten das Hutziehn, denn die haben den Hut heruntergenommen und mit der offenen Seite nach oben in der Hand gehalten.
In zwei Szenen zweimal zieh ich den Hut, schau auf die Erd dabei, ich versteh schon, warum Herr Recht einen ss-Mann spielen wollte.
In den Gassen hat die ABC Puppen, das sind Tote, herumverteilt, sie schauen so unecht aus wie echte verhungerte Tote, so dass das ein bissl grauslich ist, bevor man sich gewöhnt. Die Sonne schein, die SSler und die Juden gehen - zum Teil sich an den Händen haltend und sich gegenseitig stützend, wie's so glatt ist - in irgendwelche Kantinen.
Vor fünfundvierzig Jahren sind sie nicht übergeschnappt, die jetzt Statisten sind. Ob sie es nun schaffen werden?
Nach dem Essen Gesangsprobe mit Mordechai und denen aus Sarajevo. Anfangs läuft's nicht, denn wenn die schon singen, dann singen sie lieber, was sie können.
Dabei aber kommt eine gute Stimmung auf, Esther hat´s auf ihrem Film. Ich komm mir vor wie in einem Jugendlager auf zionistisch, aber ich werde dennoch fröhlich. Dann tanzen sie, wie sich´s gehört, verkehrt zum Rhythmus, ohne Anfang, ohne Ende, ein lachendes Irgendwie. Die anschließende Gesangsprobe - zwei bitterliche Lieder - hat in sich einen Körper bekommen.
Der dritte Dreh, ein Kaddisch auf Typhustote. Wir alle stehn um Holzsärge herum, die wie von Ikea ausschauen, aber Mordechai intoniert die Totenklage so schön, dass man zur Not weinen könnte darüber, wie lebendig der Tod ist. Branko Lustig, der erste Regieassistent, hat mich - so geht´s mir immer - sofort erspäht und in einen gewissen Vordergrund placiert und auch Paul, damit die Welt nicht vergisst, was ein jüdisches Gesicht ist. Aber den Gerhard Frumm, für den das Jüdische Gesicht bloß ein hartnäckiges Gerede ist, haben sie gleich links neben Mordechai hingestellt; wer´s gesehen hat, wird´s nicht gleich vergessen. Mir ist in den Zehen sehr kalt, aber dennoch dieser Tag war ganz gut, und um fünf ist er vorbei.
Während ich jetzt geschrieben habe, ist Nana hereingekommen in mein Zimmer. Wir reden über den heutigen Tag, und womöglich ist noch immer dies Floureszieren im Floureszieren. Andrerseits, ich sagte es schon, erweis ich mich offenbar wieder als auffälliger Mensch; Humor und Eitelkeit mögen um eine Sinninterpretation wegen dieser Auffälligkeit streiten. Hier ist nicht der Ort, sich nach dem Verschwinden zu sehen.
Da sind offensichtlich Verzweifelte in Osijek an der Drau losgelassen worden. Wahrlich, das müssen Spieler sein.
Aber Esther, sie macht ja einen Film über ihr Vergessen und ihr Erinnern und hat von der ABC eine Drehgenehmigung, damit sie ins Herz kriechen kann uns Statisten, die wir verschiedentlich das Herz umpanzert haben aus Angst, kommt näher, und nah ist sie mir wieder geworden, nebenbei, nebenbei.
Aber als beim Kaddisch Mordechai Papiertaschentücher verteilte, damit die Frauen, wer sonst, ein bisschen auch weinen sollten beim Dreh, dachte ich: It´s a Feh. In Theresienstadt gab´s natürlich keine Taschentücher aus Papier, es musste auf pures Textil geweint werden, als die Szene gedreht wurde.
Der Tag war gut, alles hatte miteinander zu tun, und so war´s auch in Ordnung, als ich die Lämmerkluft abtat von mir und unter die wirkliche Dusche ging vorhin.

 
 
 
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DIE NACHT DER HARLEKINE
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